Bei der Sparkasse

By Brita No comments

von Brita Hempel

Ich arbeite in einer ländlichen Filiale mit eingeschränkten Öffnungszeiten. Als der Bankräuber in meine Filiale kam, ich war grade allein dort, als er die Schusswaffe – irgendeinen kleinen Revolver – gegen mich richtete und mich aus den Löchern, die er in eine komplett übers Gesicht gezogene dunkelblaue Skimütze geschnitten hatte, fordernd und traurig anblickte, sagte ich zu ihm:

Dank der Zeitschloss-Regelung gibt es hier sowieso maximal 2000 Euro zu holen. Du musst ganz schön verzweifelt oder falsch informiert sein, um dafür deine Freiheit aufs Spiel zu setzen. Bist du drogenabhängig, spielsüchtig, Terrorist? Oder einfach ein bisschen dämlich?“

Erst hatte er wohl den Impuls, mit der Waffe vor meinem Gesicht herumzufuchteln, über den Schalter weg, durch das offene Schiebefenster in der Glasscheibe, die mich vom Kundenbereich trennt, aber dann ließ er den kleinen, etwas altertümlich wirkenden Revolver sinken und sagte mit einer gleichzeitig sehr jungen und dunklen Stimme:

Du musst umgekehrt sehr dämlich sein, gute Frau. Das ist doch lebensmüde von dir, mir jetzt solche Fragen zu stellen.“

Ich beugte mich ein Stück weit vor in meinem Schalterfenster und sah in seine zwei braunen Augen, die rund, nervös, ein wenig zornig aus der Mütze schauten, und antwortete:

Mein Leben steckt tatsächlich ein Stück weit in der Sackgasse, junger Mann. Wie bei so vielen. Ich würde aber keineswegs sagen, dass ich lebensmüde bin. Und ich rechne, offen gestanden, auch nicht damit, heute erschossen zu werden. Du machst mir nicht den Eindruck.“

Er seufzte und klickte mit dem Revolver, richtete ihn gegen meine Stirn.

Wahrscheinlich war das eine nervöse Übersprungshandlung, aber ich lachte ihn an und schlug vor:

Weißt du was? Entweder erschießt du mich jetzt, oder du nimmst mich mit. Deine Probleme bekommen wir gemeinsam in den Griff. Mach dir nichts aus dem Altersunterschied. Vielleicht fehlt dir sowieso eher eine Mutti in deinem Leben.“

Da legte er den Revolver weg, in die Schale, die auf der Kundenseite in den Tresen eingelassen ist, rollte die Mütze bis zur Nase hoch, und wir küssten uns durch das Schalterfenster.

Wahrscheinlich war er doch nicht so dämlich.

Oder einfach ein kleiner, unwichtiger Verzweiflungstäter?

Weil ich den Notfallknopf nicht gedrückt hatte und die zwei anwesenden Kunden, eine ältere Dame und ein Schulkind, viel zu beschäftigt damit gewesen waren, uns anzustarren, hatte zunächst tatsächlich niemand die Polizei gerufen. Jedenfalls entkam er unerkannt.

Den Revolver, in der Tat noch ein Modell aus dem zweiten Weltkrieg, anscheinend voll funktionsfähig, gepflegt und geladen, ließ er liegen. Die Fingerabdrücke darauf fanden sich in keiner Polizeidatei wieder.

Er ist entkommen, ich habe ihn nie wiedergesehen.

Als ich am Abend nach dem Überfall meinem Mann davon erzählte, grinste er mich an:

Das ist mal wieder typisch für dich, Schatz.“

Ich fragte nach: „Bist du nicht ein bisschen stolz? Und eifersüchtig?“

Mein Mann hielt inne in der Streichbewegung, mit der er grade die zwei Leberwurstschnitten für uns vorbereitete, während ich noch die Petersilie dafür kleinhackte.

Dann sagte er, eine nachdenkliche Stirnfalte über der Nasenwurzel:

Auch ich kenne dieses Gefühl, etwas verpasst zu haben. Vielleicht ist der junge Mann tatsächlich der Sohn, den wir nie haben konnten. Aber ich bin froh, dass du nicht alleine mit ihm durchgebrannt bist.“