U.D.-Kaninchen
von Brita Hempel
Uns war es gerade gelungen, ein längsgestreiftes Zebra herzustellen. Das Tier war reproduktionsfähig, ein Hengst. Kurz darauf mussten wir das Labor schließen, ja die ganze Forschungsanlage mit Institutsgebäude und Gehegen aufgeben, nachdem es zum einen militanten Tierschützern gelungen war, nachts einzubrechen und besagten Hengst zu entwenden, und zum anderen ein Datenleck unsere bisherigen
Arbeiten in unausgegorener, verzerrter Form an eine unzureichend vorgebildete Öffentlichkeit gelangen ließ, wo sie in sehr ungünstigem Licht erschienen.
Der Zebrahengst lebte übrigens bis vor kurzer Zeit mit einer Herde in einem weitläufig angelegten safarigeländeartigen Tierpark in Spanien und soll dort zwei in unterschiedlicher Richtung diagonal gestreifte und ein kariertes Fohlen gezeugt haben. Natürlich konnten wir das nie wissenschaflich prüfen und sind in der gegenwärtigen Situation verständlicherweise erst recht zu keiner Falsi- oder Verifikation mehr in der Lage. Die Chancen, diese Fohlen aufwachsen zu sehen, stehen ja nun leider derzeit auch sehr schlecht.
Meine auf produktive Art leicht wahnsinnige Chefin, Dr. Ragnheiður Püschel, und ich als ihre ergebenste Adeptin und Assistentin hatten freilich vor der erzwungenen Schließung unserer Forschungseinrichtung beizeiten notwendige Daten, Geräte, Gewebeproben etc. beiseite geschafft und parallel zu unserer ofiziellen Tätigkeit ein feines, kleines Geheimlabor aufgebaut, so dass wir uns nun, von der Fachwelt zwar
nicht mehr gewürdigt, von keinem Paragraphen mehr gedeckt und bar jeglicher legaler Forschungsmittel, doch gleichermaßen befreit von jedweder eben diese Forschung ausbremsender, hindernder, verschleppender Reglementierung und Beobachtung ganz wie die Pioniere früherer Zeiten ungehindert unserem Drang nach Erkenntnis hingeben konnten.
Unser Projekt: Unintelligent Design.
Man hat das vor allem in letzter Zeit oft völlig falsch referiert. Nein, es ging uns keineswegs darum, Darwin, den guten alten Zausel, und seine auf der jahrelangen Forschungsfahrt der Beagle unter permanenter Seekrankheit ersonnene Evolutionstheorie vom Überleben des Bestangepassten gegen die Vorstellungen Bibel- oder Koran-gläubiger Kreationisten zu verteidigen, die in der sinnigen Beschaffenheit von Fauna, Flora, Mikro- und Makrokosmos den Beweis für eine Erschaffenheit, für das Wirken eines intelligenten, göttlichen Schöpfers zu entdecken meinen. Es ging uns übrigens genauso nie bewusst um Nichtanpassung an eine hirnrissige Umgebung.
Dass wir unser Projekt in scheinbarem Gegensatz zu der Lehre des Intelligent Design, dem Modebegriff für diese an sich äußerst altbackene teleologische Lehre vom kreativen Gott der Frommen, mit dem Begriff Unintelligent Design, kurz: U.D., belegten, war vor allem Ausdruck der Dr. Ragnheiður Püschel wie mir inhärenten Freude an Kalauern, Blödsinn, Unfug.
Was uns allerdings wirklich einte und auf einer tieferen Ebene verband, war unser gemeinsames vorbehaltloses Bekenntnis zum Dogma der größtmöglichen Niedlichkeit.
Noch heute geht mir das Herz über, wenn ich vor meinem geistigen Auge diese erhebenden Momente aufsteigen sehe, in denen Dr. Ragnheiður Püschel, die rotbraunen, damals bereits von einzelnen grauen Strähnen durchzogenen wirren Locken nurmehr unzureichend vom weißen Haarband zurückgehalten, mit hinter der Schutzbrille weit und freudig aufgerissenen hellgrünen Augen die Arme in einer entzückten Geste hochriss, die weißen Kittelärmel in fröhliches Flattern versetzend, und mehr jauchzend gluckste als artikuliert ausrief: „Ist das nicht niedlich!“
Ja, dann war uns in langer, harter Arbeit, nach vielen Rückschlägen, in unermüdlichen Tag- und Nachtschichten, beseelt von einer Begeisterung, der die Vorstellungen von Urlaub und Pause ohnehin wesensfremd war, wieder gelungen, ein außerordentlich niedliches Forschungsergebnis zu erzielen.
Auch vor dem Unfall und bevor diese Nagezahn-Biss-Narben ihrer rechten Wange ein etwas verwegenes Aussehen gaben, stand Dr. Ragnheiður Püschel die Kühnheit eines frei denkenden Menschen auf gleichsam – entschuldigen Sie das verunglückte Sprachbild – unterschwellig flammende, auf lodernd schwelende Art ins Gesicht geschrieben.
Und wie wir Niedlichkeit definierten? Ich will mich hier nicht über Heisenberg auslassen usw. und angesichts der mittlerweile trivialen Einsicht in die Unmöglichkeit neutral-objektivierenden Betrachtens nur kurz anmerken, dass wir ganz pragmatisch dasjenige als „niedlich“ bezeichneten, was uns niedlich erschien – über alles weitere schweigend, da wir doch nicht davon sprechen konnten. Niedlichkeit liegt im Auge der Betrachterin, ja.
Natürlich muss Forschung finanziert werden. Zugegebenermaßen haben wir unsere begrenzten Mittel teilweise in Ideen investiert, die sich als wenig tragfähig oder sogar im Hinblick auf eine Verbreitung in außerhalb des Versuchsareals gelegene ökologische Zusammenhänge problematisch herausgestellt haben.
Es stimmt aber z.B. nicht, dass wir illegal gezüchtete Welpen verkauft haben, um mit dem Ertrag die Entwicklung eines kuschelweich und flauschig wuchernden Nagelpilzes zu finanzieren. Die Welpen waren natürlich nicht im konventionellen Sinne gezüchtet – es sei denn, diejenigen, welche diese Bezeichnung hier so verwenden wollen, verbinden damit das Eingeständnis, dass die einer heutigen Genetikerin möglichen Veränderungen im Erbgut eines Lebewesens in mancher Hinsicht lediglich eine beschleunigte Variante traditioneller Einflussnahme auf Eigenschafen der DNA durch selektive Zuchtwahl bedeuten.
Und natürlich brauchten wir mehr Geld, als man es für ein paar Welpen bekommt, und sei deren Anblick und Gebaren noch so herzerweichend niedlich. Es würde jedoch zu weit führen, wenn ich an dieser Stelle auf unsere eigentlichen Methoden der Gewinnung von Forschungsmiteln einginge.
Hier nur eine kleine Bemerkung, die zu weiterem Nachdenken anregen mag: Solange Waffen nicht insgesamt geächtet werden, warum gelten dann biologische Kampfstofe als so besonders verwerflich? In einer Welt, die sonst mit der vorgeschalteten Bio-Silbe lauter für erfreulich befundene Phänomene wie Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und Authentizität verbindet.
Niedlichkeit als Forschungsziel muss sicherlich nicht notwendig Harmlosigkeit entweder auf dem Weg zum Ziel oder beim Ergebnis implizieren. Korrelationen von Niedlichkeit und Harmlosigkeit, wie wir sie in unserer alltäglichen Umgebung früher üblicherweise meist beobachten konnten und wie sie auf diesem Wege Teil unseres unmitelbar verfügbaren Weltwissens geworden sind, haben natürlich keinen kausalen Erklärungswert. Trotzdem bin ich immer noch davon überzeugt, dass es – bei aller notwendigen Radikalität – wohl kaum jemals harmlosere Forschungsansätze als die unsrigen gegeben haben kann.
Die gegenwärtig spürbaren Konsequenzen unserer aus dem Ruder gelaufenen Versuchsreihe mit ebenso außerordentlich niedlichen wie vermehrungsfreudigen Killerkaninchen sind jedenfalls in ästhetischer Hinsicht zweifellos allen, ich wiederhole: allen, denk- und vorstellbaren Szenarien einer Zombie-Apokalypse vorzuziehen.